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Wiedereingliederung von 3 Kindern im Schweizer Schulsystem

Im Jahre 2016, also vor ca. 5 Jahren, bin ich mit meiner Familie nach einem vierjährigen Auslandaufenthalt in die Schweiz zurückgekehrt. Meine vier Kinder haben in einem ostafrikanischen Land die internationale Schule besucht. Unsere Tochter hat dort sehr erfolgreich das IB abgeschlossen und ihr standen die Türen zu renommierten Universitäten offen. Mit 4 Kindern ist es nie der richtige Zeitpunkt, um zurück in die Heimat zu kehren, doch es schien für uns ein guter Moment, um unsere 3 Buben wieder ins Schweizer Schulsystem zu integrieren, damit sie ihre Laufbahn weiterführen können.

Ein sicher vernünftiger, jedoch kein leichter Entscheid. Die Schule im Ausland war für unsere Kinder viel mehr als ein Ort der Bildungsvermittlung. Er war ein Zuhause, eine Familie, ein Ort, geprägt von herzlichen Begegnungen und wohlwollenden Beziehungen. Es herrschte ein wertschätzender Umgang zwischen Schülern und Lehrern, welcher eine motivierende Lernumgebung ermöglichte. Die Lehrer waren interessiert an den einzelnen Schülern – nicht nur an deren Leistung, sondern an deren Person. Waren doch die Lehrer stets bemüht darum, ihren Schülern die Freude am Lernen zu vermitteln, sie dazu anzuspornen, ihre individuellen Bestleistungen anzustreben, und sie darin zu unterstützen, Hindernisse und Schwierigkeiten konstruktiv zu überwinden. Die Schüler wurden ermutiget, Erfahrungen zu machen, Sachen auszuprobieren, zu evaluieren, zu korrigieren, und noch einmal zu versuchen, nach Misserfolgen nicht aufzugehen, wieder aufzustehen, und aus Erfahrungen zu lernen – da man gerade aus Misserfolgen oft am meisten lernt, wenn man es wagt, sich diesen ohne Scham zu stellen.

Zurück in der Schweiz stieg unser jüngster Sohn in die sechste Primarschule ein. In dieselbe Klasse, die er damals vor 4 Jahren verlassen hatte. Unser mittlerer Sohn fand einen Platz in der Sek A. Für unseren ältesten Sohn jedoch war es anfänglich eine Herausforderung, einen Schulplatz zu finden. Er hatte die 10. Klasse - und somit die offizielle Schulzeit - abgeschlossen. Sein überaus engagierter Lehrer in Afrika, der seine grosse Leidenschaft für Ökonomie mit Begeisterung vermittelte, hat bei unserem Sohn eine Affinität für diesen Bereich entfacht und es war sein Wunsch, ins Gymnasium einzusteigen, um später Wirtschaft zu studieren.


Vier Jahre zuvor hatte er die Aufnahmeprüfung ans Gymnasium erfolgreich bestanden und seine schulischen Leistungen in der internationalen Schule in Afrika waren ausgezeichnet. Trotzdem entschied sich die Schulleitung des privaten Gymnasiums, ihn nicht aufzunehmen: er habe zu viel des Schulstoffes verpasst und es sei vorherzusagen, dass die Wissenslücken zu gross sind. Einen solchen Schüler ‘mitzuziehen’ sei für die Lehrer eine grosse zusätzliche Belastung und würde das Lernen der anderen Schüler behindern. Die Begeisterung über einen neuen Schüler in der 11. Klasse hielt sich auch im öffentlichen Gymnasium in Grenzen. Zwei Gespräche mit den zuständigen Rektoren der öffentlichen Gymnasien waren nötig, um sie davon zu überzeugen, mindestens einen zweiwöchigen Versuch zu riskieren. Wir versicherten ihnen, dass auch wir Eltern nicht daran interessiert seien, unser Sohn unnütz zu belasten.


Da unsere Kinder im Ausland fliessend Englisch gelernt haben, haben wir uns eine Aufnahme in die Immersionsklasse gewünscht, da dies die Hürde etwas erleichtern könnte. Wir lernten aber schnell, dass es hier nicht darum geht, einem Schüler etwas zu erleichtern; die Immersionsklasse sei eine Belohnung für besonders begabte Schüler und dürfe keine Erleichterung darstellen. Unser Sohn müsse schon beweisen, dass er den Übergang ohne sprachliche Erleichterung bewältigen kann.


Da die ‘normalen’ Klassen schon sehr voll waren, und es nur noch einen Platz in der Immersionsklasse gab, wurde ihm dann trotzdem dieser Platz für die zweiwöchigen Testphase angeboten. So weit, so gut. Die Kinder waren sich bewusst, dass sie alle auf Bewährung aufgenommen wurden, was nach einer Rückkehr nach vier Jahren im Ausland eine grosse Belastung war und zusätzlichen Druck aufbaute.

Die Aufmerksamkeit aller Lehrer lag auf der Leistung. Dass ein solcher Schulwechsel auch emotionale und soziale Herausforderungen an einen Teenager stellt, schien niemanden zu interessieren. Es ist gar nicht einfach, sich als Teenager in eine bestehende Gruppe zu integrieren. Es erfordert soziale und emotionale Fähigkeiten, sowie eine enorme Anpassungsleistung, die gesellschaftlichen Regeln des Zusammenlebens wieder neu zu erlernen, das ist den Wenigsten bewusst. So kann man sich in Zürich nicht vorstellen, dass ein 11-Jähriger noch nie allein den öffentlichen Verkehr benutzt hat und zuerst lernen muss, wie man Tram fährt.


Ein herausforderndes Alter schon ohne so krassen Wohnortwechsel.

Unser jüngster Sohn startete also in der sechsten Klasse - bekanntlich das Jahr, indem es nur ein Thema gibt, nämlich ob sich die Kinder dafür qualifizieren, sich zur Prüfung an anzumelden. Die Vornoten spielen da bekanntlich eine grosse Rolle. Für unseren Jüngsten war es klar, dass er ans Gymnasium wollte, und seine guten Noten motivierten ihn. Die Lehrerinnen waren jedoch anderer Meinung. Unser Sohn habe vier Jahre kein Deutsch gesprochen und seine Leistung sei nicht wirklich stark genug. Auch seine mathematischen Kenntnisse seien nicht sattelfest. Sein Notenschnitt von 5.6 wurde auf eine 5 abgerundet. Im Deutsch seien zwar die Arbeiten eine starke 5, aber seine mündliche Mitarbeit nicht genügend und deshalb wurde auf eine 4.5 abgerundet. Sie würden ihn nicht fürs Gymnasium empfehlen.


Die Aufnahmeprüfung rückte näher und unser Sohn wich nicht davon ab, zumindest den Versuch zu wagen, die Prüfung zu schreiben. Dass er dann an der Prüfung den besten Aufsatz der Klasse schrieb und die Prüfung absolut souverän bestand, hat uns enorm gefreut. Die Lehrerinnen konnten ihm nie dafür gratulieren. Warum verstehe ich bis heute nicht.


Nach gut einem Monat wurde ich zu einem Gespräch in die Schule meines mittleren Sohnes an der Sek A eingeladen. Es laufe eigentlich alles gut und die Lehrer seien zufrieden, erfuhren wir. Mein Sohn sei sehr anständig und aufmerksam. Es gäbe dennoch eine Schwierigkeit, denn die Klassenlehrperson fühle sich schon zum zweiten Mal provoziert und ich solle doch bitte meinen Sohn darauf aufmerksam machen. Ich war ziemlich erstaunt und fragte, was denn vorgefallen war. Mein Sohn würde wiederholt die Lehrperson duzen, was wohl von der englischen Sprache kam, jedoch trotzdem nicht akzeptiert werde. Kürzlich habe er der Lehrerin ein Kompliment für den schönen Pullover gemacht und am letzten Montag habe er gefragt, ob sie ein schönes Wochenende hatte. Sie verstehe das Verhalten nicht, da er sonst so aufmerksam und anständig sei.


Ich war betroffen und es wurde mir klar, dass mein Sohn noch nicht verstanden hat, dass hier zur Lehrperson keine persönliche Beziehung aufgebaut werden sollte. Das echte Interesse wird als Eingriff in die Privatsphäre interpretiert.


Am Ende des ersten Jahres wurde ich wieder zum Gespräch eingeladen. Nun habe sich mein Sohn angepasst, er grüsse nun die Lehrperson auch nicht mehr, gehe am Ende der Stunde kommentarlos aus dem Zimmer und sei in die Klasse integriert. Er ‘schleime’ sich nicht mehr bei der Lehrperson ein und werde nun von seinen Mitschülern akzeptiert. Er hatte sich der hiesigen Schulkultur nun angepasst, was mich freute, aber es machte mich auch traurig. Der Preis, den er dafür bezahlen musste, war ein grosses Stück an Freundlichkeit, Menschlichkeit und Respekt gegenüber Lehrpersonen aufzugeben.

Zurück zu unserem ältesten Sohn: er hatte seine zwei Wochen überstanden und blieb trotz sehr guter Noten für ein ganzes Schuljahr auf Bewährung. Die grosse Skepsis bezüglich seiner Fähigkeiten im Schwerpunktfach Wirtschaft, in dem er zwei Jahre verpasst hat, hatte sich schnell verflüchtigt, als er nach einem Jahr zu den drei besten der Klasse gehörte.


Am Ende des ersten Schuljahres schrieb ich der Rektorin eine E-Mail und bedankte mich dafür, dass sie das Risiko eingegangen sei, unserem Sohn eine Chance zu geben. Ich habe mich sehr über ihre ehrliche Antwort gefreut, dass sie nämlich selbst Freude habe, denn unser Sohn sei eine Bereicherung für die Klasse, was seine sozialen Fähigkeiten angehe, und sie habe auch gelernt, dass nicht nur an Schweizer Schulen professionell unterrichtet wird.


Nun, 5 Jahre reicher an Erfahrung, kann ich sagen, dass der Übertritt in die Schweiz gelungen ist. Unser ältester Sohn hat die Matura souverän abgeschlossen und studiert Wirtschaft. Unser mittlerer Sohn hat den Übertritt nach der Sek A an das Gymnasium geschafft und schreibt im Sommer die Matura. Der jüngste Sohn ist auch bald soweit und scheint keine Mühe mit dem Schulstoff zu haben. Meine Tochter studiert internationale Beziehungen und kann es kaum erwarten, wieder in einem internationalen Umfeld arbeiten zu können, um durch die Vielseitigkeit und Andersartigkeit verschiedener Kulturen bereichert zu werden und stets in Erinnerung zu behalten, dass unsere Sichtweise eine begrenzte ist und dass es essenziell ist, den eigenen Horizont immer wieder zu erweitern.


Leistungsmässig also alles in guter Ordnung und man kann objektiv zufrieden sein. Unsere Zeit im Ausland hat die Kinder enorm bereichert. Es war nicht alles einfach und ganz besonders die Rückkehr in die Schweiz war eine Herausforderung. Das vertraute Zuhause wurde mit anderen Augen wahrgenommen und schien plötzlich fremd. Das war eine bereichernde, wenn auch zum Teil schmerzhafte Erfahrung. Ich als Mutter bedaure, dass die Schule für die Kinder nie mehr zu einem Ort wurde, an dem wohlwollende und anhaltende Beziehungen zu Lehrpersonen geknüpft werden, sondern der Schulbesuch eher eine unangenehme Unterbrechung der Freizeit darstellet.


Wenn wir nur endlich verstehen und glauben würden, dass das Klima in der Schule und die Beziehungen zu Lehrern eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Lernen ist. Ich freue mich für jedes Kind, welches dies in der Schule erleben darf und ermutige Eltern dazu, den Mut zu haben, unkonventionelle Wege zu gehen und darauf zu vertrauen, dass Lernen auf dem Boden von guten Beziehungen wächst und dass alles im Leben Lernen ist, besonders auch das, was ausserhalb des Klassenzimmers stattfindet.


Claudia S., Zürich – im Januar 2021



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